Bertrandt dürfte von Finanzierungspaket für Verteidigung und Infrastruktur doppelt profitieren
Der Engineering-Dienstleister Bertrandt dürfte nach schwierigen Jahren wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Sowohl mit seinen Data Science-Services als auch mit HARRI, einer Innovationsplattform rund um das vernetzte, autonome Fahren könnte Bertrandt nicht nur im Bereich der Verteidigung, sondern auch im Sektor der Infrastruktur zu einem Nutznießer des geplanten Sondervermögens werden.
Bertrandt ist ein 1974 gegründeter, eigenständiger und internationaler Engineering-Dienstleister mit Hauptsitz in Baden-Württemberg. Das Unternehmen zeichnet eine langjährige Automotive-Expertise aus (Automotive = Massenfertigung von Kraftfahrzeugen). Bertrandt entwickelt ganzheitliche Konzepte und Lösungen von der Idee bis zur Serienreife und begleitet seine Kunden mit seiner ausgeprägten Ingenieurskompetenz entlang des gesamten Produktentstehungsprozesses. Die Schwerpunkte der Forschung liegen auf den Themen Digitalisierung, E-Mobilität und Autonome Systeme. Aufgrund dieser mannigfaltigen Ausrichtung ist Bertrandt in verschiedenen Branchen aktiv. Zu ihnen zählen unter anderem die Automobilindustrie, die Luftfahrt, der Schienenverkehr, der Verteidigungssektor sowie die Medizintechnik.
Die Digital Twin Solution analysiert und komprimiert komplexe Datenströme
Viele Unternehmen wissen nicht genau, wie viel Mehrwert sich aus den Daten ihrer Fabrik, ihrer Anlage und sogar ihren einzelnen Maschinen gewinnen lässt. Aber selbst wenn sie sich diesen Sachverhalt vergegenwärtigen, können sie ihn oft nicht zu ihrem Vorteil nutzen. Die Landschaften von Informationsquellen sind meist undurchsichtig und heterogen strukturiert. Diese komplexe Vielfalt erschwert die Zusammenarbeit und Organisation innerhalb eines Unternehmens. Vor allem bei der Arbeit aus dem Homeoffice oder während einer Geschäftsreise machen sich derartige Koordinationsprobleme bemerkbar. Die Digital Twin Solution sorgt dafür, dass die jeweils wichtigsten Informationen jederzeit und überall verfügbar sind. Diese ständige Datenpräsenz verringert die Reaktionszeit auf unvorhersehbare Prozesse wie zum Beispiel Unterbrechungen in der Produktion und lässt die jeweilige Führungsebene Entscheidungen besser informiert und flexibler treffen. So kann ein Manager sich schnell einen Überblick über alle Fabriken verschaffen, ein Operator den Live-Status seiner Maschinen abrufen und ein Maschinenwart überprüfen, wo eine Wartung notwendig ist.
Im Zentrum der Bertrandt Digital Twin Solution (‚digitaler Zwilling‘) steht das CBM (Condition-based Maintenance). Diese Software sammelt Daten aus den verschiedensten Quellen und verdichtet und verarbeitet diese, um sie schließlich zu speichern. Für den Kunden stellt Bertrandt mit dem "digitalen Zwilling" eine 2D- oder 3D-Ansicht der jeweiligen Anlage zur Verfügung. Der ‚digitale Zwilling‘ ist mit allen Betriebssystemen kompatibel und kann deshalb sofort mit jedem Endgerät interagieren.
So kann der Kunde mit seiner Hilfe mit nur einem Swipe die gewünschten, auf ihn zugeschnittenen Informationen abrufen. Genauso kann er eine individuelle, auf ihn abgestimmte Konfiguration erstellen. Jeder Mitarbeiter erhält bei Bedarf genau die Daten, die er benötigt. So werden bei jeder Problemlösung die Reaktionszeit verringert und die Effizienz gesteigert.
Data Science Services verwandeln Daten in Wissen und schaffen so Mehrwert
Um aus der Fülle von Daten Wissen generieren zu können, sind meist ausdifferenzierte Modelle und Prozesse notwendig. Gelingt es, die Daten in Wissen umzusetzen, können für die Produktion, Entwicklung, Qualitätssicherung und viele andere Bereiche eines Unternehmens Mehrwerte geschaffen werden. Im Bereich Data Consulting unterstützt Bertrandt seine Kunden von der Planung der Datenaufnahme bis hin zu komplexen Datenanalysen. Wenn ein Kunde eine spezielle Lösung für Letztgenanntes sucht, wird er in der Abteilung Data Science Engineering bei Bertrandt Hilfe finden. Wenn es darum geht, für den Betrieb von verteilten oder vernetzten Systemen wie beispielsweise einer Fahrzeugflotte oder Maschinen aus verschiedenen Werken eine grundlegende Dateninfrastruktur zu erstellen, bietet Bertrandt dem Kunden "Data Ingest"-Lösungen an. Und mit Data Labeling wird KI zur Automatisierung differenter Systeme eingesetzt.
Mit dem Mobility Test Center und der Innovationsplattform HARRI erschafft Bertrandt die Mobilität der Zukunft
Im Bertrandt Mobility Test Center können sowohl konventionelle Antriebe mit unterschiedlichen Kraftstoffen als auch alternative Antriebskonzepte wie Hybrid- oder Elektroantriebe nach den aktuellen gesetzlichen Vorgaben getestet und abgesichert werden. Der Fokus des Prüfzentrums liegt auf Emissionstests unter realen Bedingungen, der Zertifizierung und der Homologation. Bei einer Homologation wird die Einhaltung der vorgeschriebenen technischen Anforderungen eines zu genehmigenden Gegenstandes – hier also eines Antriebs – vor der Erteilung einer Typgenehmigung überprüft.
Im gängigen Sprachgebrauch werden die vier Trends der modernen Mobilität, nämlich Digitalisierung, autonomes Fahren, Vernetzung und Elektromobilität, meistens voneinander getrennt genannt, statt sie zusammen zu denken. HARRI ist der Name für Bertrandts intelligente, autonome Innovationsplattform für Lösungen rund um vernetztes, automatisiertes und elektrisches Fahren. HARRI vereint alle vier Trends in einer Plattform. So sollen innovative Mobilitätskonzepte auf der Basis einer Domain-/Systemstruktur und mit allen zugehörigen Schnittstellen und Funktionen geschaffen werden. HARRI kann an jeder Ladestation aufgeladen werden und dank seiner Orientierung, die auf seinen visuellen und auditiven Fähigkeiten basiert, autonom fahren. Um HARRI mit den aktuellen Daten zu speisen, ist er vielfältig vernetzt und mit einem Cloud-Backend verbunden. Auch von den Seiten seiner Erfinder wird HARRI ständig weiterentwickelt. Sei es, dass es sich um neuartige kommunale Mobilitätskonzepte handelt oder um innovative Batteriespeicher – HARRI vereint stets alle Neuigkeiten aus der realen und der virtuellen Welt rund um das Thema Mobilität. So kann Hans-Gerd Claus, Mitglied des Technikvorstands von Bertrandt, zu Recht festhalten: "Die Innovationsplattform HARRI beweist die technischen Kompetenzen Bertrandts entlang der gesamten Wertschöpfungskette zukünftiger Mobilitätskonzepte. Sie bietet völlig neue Lösungen für den Automobilbereich, aber auch Anwendungsmöglichkeiten für die Infrastruktur von Kommunen, für Logistikunternehmen oder die Personenbeförderung."
Das "Fit for Future"-Programm zeigt bereits erste Wirkungen in der Ergebnisoptimierung
Das vergangene Jahr war für Bertrandt von Schwierigkeiten gekennzeichnet, sodass die Aktie, die 2015 noch bei gut 140 Euro stand, ihren Niedergang bis in den November 2024 hinein fortsetzte. Bertrandt hatte im vergangenen Jahr unter anderem darunter zu leiden, dass Investitionen in die Elektromobilität in die USA und nach China verlagert wurden – ein herber Schlag für ein Unternehmen, das drei Viertel seiner Umsätze in Deutschland erwirtschaftet. Infolgedessen kam es im 2. Halbjahr 2024 zu Verlusten. Das Unternehmen stellte in Reaktion darauf seine Strategie ‚Fit for Future‘ vor. Die Zielvorgabe besteht darin, im Geschäftsjahr 2025/2026 Einsparungen von 70 bis 90 Mio. Euro pro Jahr zu realisieren.
Für Markus Ruf, Finanzvorstand von Bertrandt, hat diese Strategie bereits Früchte getragen. Als das Unternehmen am 13. Februar seinen Bericht zum 1. Quartal 2024/2025 veröffentlichte, kommentierte Ruf dies so: "Erste Ergebnisse aus dem im Vorjahr eingeleiteten Optimierungsprogramm ‚Fit for Future‘ haben sich bereits positiv auf das EBIT in der Berichtsperiode ausgewirkt." Tatsächlich konnte der Verlust des EBIT im Vergleich zum Vorquartal von -7,4 Mio. Euro auf -2,1 Mio. Euro verringert werden. Der Vorstand führte dies auf ein anziehendes Auslandsgeschäft und den Abbau von Personal zurück. Im letzten Geschäftsjahr ist Bertrandts Umsatz von 1,2 Mrd. Euro um 2,5 % gestiegen. Dabei fiel der Gewinn von 30,4 Mio. Euro auf -77,2 Mio. Euro. Der Free-Cashflow betrug rund 50 Mio. Euro. Aus dem Ergebnisoptimierungsprogramm resultierten Sondereinflüsse von -115 Mio. Euro. Dazu gehörten Restrukturierungsaufwendungen für den angekündigten Personalabbau, Portfoliomaßnahmen und Infrastrukturanpassungen sowie für nicht liquiditätswirksame Wertberichtigungen auf Vermögenswerte. Bertrand stellt diese Aufwendungen auf Basis der Eigenkapitalausstattung und des deutlich positiven Free-Cashflows von rund 50 Mio. Euro aus eigenem Vermögen dar. Und das Unternehmen sieht eine positive Zukunft vor sich: "Mit einer Eigenkapitalquote von rund 41 % sind wir weiterhin substanzstark. Der Markt für Entwicklungsdienstleister bietet Wachstumsperspektiven. Mit unserer Strategie 2027 stellen wir jetzt die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft."
Quelle: Qualitäts-Check TraderFox
Eventuelle positive Effekte aus dem Sondervermögen sind noch nicht eingepreist
Es ist nicht nur diese positive Aufwärtstendenz, die sich im Bericht zum 1. Quartal 2024/2025 verzeichnen lässt, die Grund zur Hoffnung für Bertrandt gibt. Was in den Zahlen noch nicht eingepreist ist, sind Effekte aus dem geplanten Sondervermögen, die sich für das Unternehmen positiv auswirken könnten. Bertrandt dürfte nämlich nicht nur von den Investitionen in die Infrastruktur zum Beispiel dank HARRI profitieren, sondern auch von den Ausgaben für die Verteidigung. Denn das Unternehmen ist seit 35 Jahren in der Bereitstellung von Ingenieurs- und Beratungsdienstleistungen für den Verteidigungs- und Sicherheitssektor tätig. Diese Expertise umfasst sowohl militärische Flugzeugsysteme und Militärfahrzeuge als auch Marinesysteme.
Bullcase vs. Bearcase
Bertrandt verfügt über innovative Konzepte und Lösungen, die auf die Problemstellungen einer vernetzten Welt zugeschnitten sind und deren Trends sogar oft in einer neuen Synthese zusammenführen (z. B. HARRI). Das ‚Fit for Future‘-Programm scheint schon nach kurzer Zeit den gewünschten Effekt zu haben. Wegen des negativen Gewinns im letzten Geschäftsjahr ist das KGV nicht definiert, das KUV ist mit 0,2 aber sehr günstig. Wenn das Finanzierungspaket für Infrastruktur und Verteidigung beschlossen werden sollte, dürfte die Aktie vor einer Neubewertung stehen.
Allerdings ist Bertrandt relativ stark von der Prosperität der deutschen Wirtschaft abhängig. Sollte das Finanzierungspaket nicht in den Kernprodukten des Unternehmens investiert werden und sich das ökonomische Klima in Deutschland nicht aufhellen, wäre zu fragen, ob das ‚Fit for Future‘-Programm allein Bertrandt zu einem neuen Aufschwung verhelfen kann.
Fazit
Das Papier von Bertrandt hat die im November 2024 erreichte Talsohle von 15,70 Euro vorerst durchschritten und notiert derzeit bei 25,70 Euro. Dieser Anstieg ist wahrscheinlich dem "Fit for Future"-Programm geschuldet. Sollte das Sondervermögen und die Ausnahme aller Verteidigungsausgaben oberhalb von 1 % des Bruttoinlandsproduktes bei der Berechnung der Schuldenbremse in der geplanten Form beschlossen werden, dürften sich die Auftragsbücher von Bertrandt füllen und die Aktie sich endgültig aus dem Tal befreien.
Bildherkunft: AdobeStock_996704588