Portfoliocheck: Mit Qiagen wettet Jeremy Grantham nicht nur auf einen Erfolg der Übernahme durch Thermo Fisher
Jeremy Grantham ist einer der erfolgreichsten Investoren der Welt. Er ist überzeugt davon, dass Gewinnmargen und dem entsprechend auch Preise langfristig immer zu ihrem Mittelwert zurückkehren. Im Kapitalismus ziehen überdurchschnittliche Gewinnmargen zwangsläufig Wettbewerber an, so dass diese Margen durch die zunehmende Konkurrenz unter Druck geraten. Sinkende Margen lassen perspektivisch die Gewinne sinken und hierdurch reduziert sich der Wert des Unternehmens in der Zukunft. Was die Bewertung des Unternehmens an der Börse und damit seinen Aktienkurs unter Druck setzt. Dieser Mechanismus funktioniert in umgekehrt auch für ehemalige Underperformer, wenn diese ihre Wettbewerbssituation verbessern und steigende Margen und Gewinne aufweisen können.
Kaum verwunderlich ist daher, dass Grantham dem Konzept des ökonomischen Burggrabens hohe Bedeutung zumisst. Denn dauerhafte und starke Wettbewerbsvorteile sich ein Garant für hohe Margen und Gewinne und je länger diese Wettbewerbsvorteile aufrechterhalten werden können, desto länger kann sich das Unternehmen über dem Mittelwert halten und der Kurs weiter steigen.
Der Prophet der Blasen
Grantham gewann große Popularität, weil er das Platzen von Blasen korrekt vorausgesagt hat. So prophezeite er den Zusammenbruch am japanischen Aktien- und Häusermarkt in den späten 1980er Jahren, das Platzen der Internetblase in den späten 1990ern, sowie das Platzen der Blase am Häusermarkt 2007 und der sich anschließenden weltweite Kreditkrise 2007.
Vom Value zum Quality Investor
Für Aufsehen sorgte Jeremy Grantham, als er sich 2017 vom Deep Value-Ansatz nach Benjamin Graham abwandte, dem Investoren wie Seth Klarman oder Howard Marks anhängen, und sich stattdessen dem Quality Investing zuwandte, dem auch Philip A. Fisher, Warren Buffett, Charlie Munger und Tom Russo folgen.
Grantham erklärte, das KGV läge seit 20 Jahren signifikant oberhalb seiner langjährigen Durchschnittswerte. Anstelle der früher üblichen 14 notiere es seit mehr als 20 Jahren im Mittel bei 23. Daher sei die Zeit reif für eine Anpassung der eigenen Überlegungen getreu dem Leitsatz John Maynard Keynes, der sagte: "Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung".
Und die Hauptursache der neuen Wirklichkeit ist schnell gefunden. Neben dem schnellen technologischen Wandel ist es vor allem das dauerhaft niedrige Zinsniveau, denn es ließ und lässt die Gewinnmargen der Unternehmen dauerhaft ansteigen; sie liegt seit 1997 bei durchschnittlich sieben Prozent, während sie vorher bei fünf Prozent lag. Und ein nachhaltiges Umkehren von den niedrigen Zinsniveaus ist nicht abzusehen, so dass sich Anleger an die neue Wirklichkeit anpassen müssten, um erfolgreich zu bleiben.
"Du wirst nicht dafür belohnt, Risiken einzugehen. Du wirst dafür belohnt, günstige Vermögenswerte einzukaufen."
(Jeremy Grantham)
Jeremy Grantham vertritt daher die Auffassung, auch Value Investoren sollten nicht sklavisch nach KGVs im niedrigen zweistelligen oder gar einstelligen Bereich suchen, sondern auch höhere KGVs bis 20 in Kauf nehmen. Er zielt vielmehr auf dominierende Geschäftsmodelle ab, auf die marktbeherrschende Stellung der Unternehmen im Wettbewerb, auf ihren ökonomischen Burggraben ("Moat"). Marktdominanz bietet die Aussicht auf steigende Gewinnmargen und daher sollten Anleger auch bereit sein, diesen Unternehmen höhere Bewertungen zuzugestehen.
Jeremy Granthams Käufe und Verkäufe im 1. Quartal 2020
Im ersten Quartal schichtete Grantham sage und schreibe 20 Prozent seines Portfolios um. Er hielt Ende März 764 Positionen, darunter 190 neue.
Die stärkste Auswirkung hatte sein Aufstocken bei Coca Cola und im weiteren Sinne gehört auf Starbucks in die gleiche Kategorie; hier kaufte er sich erstmals ein. Beide Unternehmen haben in der Coronakrise schwer zu kämpfen, dürften aber langfristig zu den Krisengewinnern gehören.
Bei Mastercard verkaufte Grantham hingegen seinen Restbestand und stockte im Finanzsektor im Gegenzug bei U.S. Bancorp um 51 Prozent auf.
Mit dem Ausbau seines Emerging Markets ETFs um 177 Prozent setzt er klar auf eine frühe Corona-Erholung in Asien. Von den massiv erhöhten Forschungsgeldern der Regierungen zur Bekämpfung der Corona-Krise profitieren sollte Quest Diagnostics, während Booking Holdings weiterhin unter den Reisebeschränkungen und dem Nachfrageeinbruch bei Urlaubsreisen leiden dürfte. Hier stieg Grantham komplett aus, ebenso bei WellCar Health Plans, während er Humana um knapp 80 Prozent abbaute. Mit 29 Prozent traf es Alphabet deutlich geringer; die Google-Mutter leidet unter dem Nachfragetief bei Online-Anzeigen und dürfte auch im Sommer noch eine Durststrecke durchlaufen, weil viele Events abgesagt werden mussten und auch die Reisebranche weiterhin kaum Werbung schlatet.
Jeremy Granthams Portfolio zum Ende des 1. Quartals 2020
Der Wert der von Jeremy Grantham bei GMO verwalteten Kundenportfolios lag Ende März bei knapp 12 Milliarden Dollar und damit um satte 3 Milliarden unter dem Stand vom Jahresende 2019.
Tipp: Im Kundenbereich des aktien Magazins kommentieren wir die Portfolios und Transaktionen der erfolgreichsten Portfolio-Manager der Wall Street. Nicht zögern, jetzt bestellen!
> aktien Magazin bestellen und Zugriff auf die Guru-Portfolio erhalten
Auffällig ist, dass Grantham weiterhin bevorzugt auf große US-Wachstumswerte mit starkem Burggraben und noch stärkeren Cashflows setzt. So sind Microsoft mit 4,5, Alphabet mit 3,7 sowie Apple mit 3,6 Prozent weiterhin seine drei größten Positionen. Bei Alphabet ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich Granthams Engagement auf die A- und C-Aktien verteilt mit 1,95 und 1,73 Prozent Einzelanteil.
Auf den vierten Platz hat sich United Health vorgeschoben, die 3 Prozent vor Oracle liegen, die es auf 2,8 Prozent bringen. Dahinter liegen Alibaba mit 2,7 Prozent und Johnson & Johnson sowie Medtronic mit 2,6 und 2,5 Prozent.
Diese Verteilung der Topwerte erklärt auch, weshalb in Granthams Portfolio der Technologiesektor mit knapp 25 und der Healthcarebereich mit fast 20 Prozent dominieren. Zu diesem gehört auch Qiagen, die Jeremy Grantham neu in sein Portfolio aufgenommen hat. Mit einem Anteil knapp unter 0,5 Prozent schaffte es Qiagen allerdings nicht in die Top 10.
Aktie im Fokus: Qiagen
Das Unternehmen Qiagen aus Hilden war schon zu Zeiten des Neuen Marktes ein Anlegerliebling und blickt auf eine wechselhafte Börsengeschichte zurück. Als Laborausrüster und Spezialist für Diagnostik ist Qiagen ein Zulieferer und Partner der forschenden Pharma- und Biotechnologieunternehmen und damit so etwas wie der Schaufelverkäufer beim Goldrausch. An sich also ein weniger spektakuläres aber einträgliches Geschäft. Und das hat in den letzten Jahrzehnten auch meistens recht gut funktioniert. Die Reagenzien und Instrumente aus dem Hause Qiagen gelten in Forschungslabors quasi als Goldstandard und mit seinen Diagnostiktests hatte sich der Konzern ein weiteres starkes Standbein bei klinischen Anwendungen erschlossen.
Dabei wuchs Qiagen nicht immer nur organisch, sondern kaufte auch gerne mal Umsatz und neue Geschäftsfelder hinzu. Allerdings nicht immer mit großem Erfolg. Und im letzten Jahr lief dann einfach alles schief.
Absturz und Selbstaufgabe
Qiagen expandierte in ein weiteres Geschäftsfeld, doch nach anhaltenden Misserfolgen musste die Entwicklung eigener neuartiger DNA-Sequenzierungsgeräte aufgegeben werden. Hinzu kam ein massiver Absatzeinbruch in China und die immer größeren Fragezeichen über die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Nach 27 Jahren Unternehmenszugehörigkeit und 15 Jahren auf dem Chefposten ging dann auch noch Peer Schatz von Bord und hinterließ Qiagen führungs- und orientierungslos. Als Konsequenz stellte sich das Unternehmen selbst zum Verkauf.
Interessenten gab es einige, darunter auch Finanzinvestoren. Da Qiagen aber keine Großaktionäre hat, sondern der überwiegende Teil der Aktien in Streubesitz liegt, muss der Kaufinteressent vor allem mit dem Angebotspreis überzeugen. Und je strategisch sinnvoller eine Übernahme ist und das Angebotsspektrum des Kaufinteressenten passend ergänzt, desto größer sind die Synergieeffekte und damit seine Bereitschaft, auch einen höheren Kaufpreis zu bezahlen. Eine strategische Übernahmeprämie also.
Zum Kreis der Interessierten gehörten u.a. Abbott Laboratories, Siemens Healthineers, Merck, Danaher, aber auch Illumina, mit denen Qiagen erst kurz zuvor eine langfristige Kooperation im Bereich der DNA-Sequenzierung geschlossen hatte. Und natürlich Thermo Fisher.
Thermo Fisher ist die erste Wahl
Thermo Fisher Scientific bietet innovative Lösungen für jede Phase wissenschaftlichen Arbeitens im Gesundheitssektor und bezeichnet sich selbst als "der weltweit größte Lieferant für wissenschaftliche Anwendungen".
Das Unternehmen entstand im November 2006 mit der Übernahme der Fisher Scientific International Inc. durch die Thermo Electron Corp. und dessen Subunternehmen ThermoQuest. Die 1956 gegründete Thermo Electron war auch durch eine Reihe von Übernahmen erfolgreicher Analytikfirmen erfolgreich gewachsen, deren Aktivitäten dann unter dem Dach von Thermo Fisher Scientific zusammengefasst wurden.
Qiagen würde hervorragend ins Angebotsspektrum von Thermo Fisher passen und gemeinsam würde eine Art "Amazon für Kunden aus dem Forschungsbereich, das alles aus einer Hand bietet" werden, wie es Andreas Bischof, Manager des Nova Steady Healthcare Fonds, formulierte.
Vorstand und Aufsichtsrat von Qiagen stimmten für die Offerte von Thermo Fisher, die bereit waren, das Unternehmen zu 39 Euro je Aktie zu übernehmen. Aus Sicht von Qiagen und auch von Thermo Fisher eine sinnvolle Kombination und ein attraktiver Preis für ein strauchelndes Unternehmen ohne Führung.
Corona mischt die Karten neu
Dann passierte Corona und brachte das laufende Übernahmegebot ins Schlingern. Denn Thermo Fisher wollte mindestens 75 Prozent der Qiagen-Aktien erwerben, das war Bedingung der Übernahmeofferte und keine kleine Hürde. Aber sie schien durchaus überwindbar, auch wenn einige Investoren auf einen höheren Preis schielten und sich in den letzten Monaten bei Qiagen mit eigenen Aktienpaketen positioniert hatten.
Und sie bekamen kräftig Rückenwind, denn die Nachfrage nach Qiagens Lösungen und Produkten schießt in die Höhe, da weltweit die Test- und Forschungskapazitäten stark ausgebaut werden und die Staaten großzügig bemessene Forschungsetats zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zur Verfügung stellen.
So erwartet das Unternehmen für das dritte Quartal einen währungsbereinigten Anstieg des Nettoumsatzes von 16 bis 21 Prozent und der bereinigte Gewinn je Aktie soll währungsbereinigt um 45 bis 60 Prozent auf etwa 0,52 bis 0,58 Dollar zulegen. Für das Gesamtjahr geht das MDAX- und TecDAX-Mitglied von einem währungsbereinigten Nettoumsatzwachstum von etwa 15 bis 18 Prozent aus und einem bereinigten Gewinn je Aktie von 2 Dollar – eine Steigerung um 40 Prozent. Und auch für das kommende Jahr zeigte sich Qiagen optimistisch und rechnet mit einer weiterhin anhaltenden Nachfrage nach Corona-Testprodukten. Selbst wenn ein Impfstoff gefunden ist.
So sinnvoll eine Übernahme durch Thermo Fisher strategisch auch ist, sowohl für Qiagen als auch Thermo Fisher, die Aktionäre haben keinen Grund, ihre Aktien zu niedrig anzudienen. Das hat auch Thermo Fisher erkannt und sein Angebot um eine Milliarde Dollar deutlich nachgebessert. Statt 39 Euro bietet man nun 43 Euro je Aktie und senkte parallel dazu die Annahmequote von 75 auf 66,67 Prozent.
Gut möglich ist allerdings, dass auch dieses nun bis 10. August befristete Angebot nicht das letzte gewesen ist. Für Thermo Fisher macht die Übernahme strategisch Sinn; im Umkehrschluss könnten Wettbewerber alleine deshalb schon ein Interesse daran haben, dass Thermo Fisher nicht zum Zuge kommt. Die strategische Übernahmeprämie dürfte für alle Interessierten deutlich gestiegen sein. Zumal auch Qiagen selbst wieder viel besser dasteht als zuvor und möglicherweise immer wertvoller wird, je mehr Zeit ins Land geht.
Auch bei Thermo Fisher brummen die Geschäfte
Dabei ist Thermo Fisher auf die Übernahme von Qiagen nicht angewiesen. Gerade erst hat man eigene Quartalszahlen vorgelegt und die Erwartungen der Analysten klar übertroffen.
Der Umsatz stieg um 9,5 Prozent auf 6,92 Milliarden Dollar, wobei die Sparte Life Sciences Solutions um 52 Prozent auf 2,6 Milliarden Dollar zulegte, Laboratory Products and Services um 5,8 Prozent auf 2,79 Milliarden Dollar und Special Diagnostics um 4,8 Prozent auf 988 Millionen Dollar. Analytical Instruments als vierte Sparte schwächelte hingegen und ging mit 1,05 Milliarden Dollar um gut 20 Prozent unter dem Vorjahreswert durchs Ziel. Ein Grund mehr, sich insbesondere in diesem Bereich zu verstärken.
Das bereinigte Nettoergebnis stieg um mehr als 26 Prozent auf 1,55 Milliarden Dollar und der Gewinn je Aktie um 28 Prozent auf 3,89 Dollar. Noch beeindruckender ist die Entwicklung des operativen Cashflows, der um fast 46 Prozent auf 1,89 Milliarden Dollar zulegte.
Weder für das dritte Quartal noch das Gesamtjahr gab Thermo Fisher eine Prognosen ab. Es erscheint jedoch wahrscheinlich, dass Corona auch im weiteren Jahresverlauf ein starker Umsatztreiber bleiben wird. So konnte Thermo Fisher einen Mehrjahresvertrag mit der US-Amerikanischen Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) zur Bereitstellung von Pharmadienstleistungen zur Unterstützung der beschleunigten Entwicklung und Produktion von Impfstoffen abschließen. Des Weiteren erhielt man kürzlich eine Notfallgenehmigung der Food and Drug Administration für einen PCR-Test (Polymerase Chain Reaction) zur Diagnose von COVID-19. CEO Marc Casper stuft daher Thermo Fisher als "einen weltweit führenden Anbieter von COVID-19-Tests" ein.
Die Übernahme von Qiagen wäre für Thermo Fisher eine echte Verstärkung der ohnehin hervorragenden Marktposition. Eine nötig erscheinende nochmalige Nachbesserung des Kaufangebots könnte sich das Unternehmen locker leisten und das sollte es auch. Die deutlich verbesserte Lage bei Qiagen selbst würde das Aufgeld perspektivisch quasi selbst bezahlen und ein Scheitern der Übernahme und damit die Möglichkeit, dass sich ein Wettbewerber wie Danaher oder Abbott Qiagen schnappt, dürfte Thermo Fisher unterm Strich viel teurer kommen.
Für Qiagen-Aktionäre eine aussichtsreiche und gewinnbringende Lage, in die Corona Thermo Fisher da manövriert hat. Und Jeremy Grantham hat sich rechtzeitig bei Qiagen positioniert, um eine satte Rendite einzufahren. Er hat Qualität zu Schnäppchenpreisen eingesammelt, während der Kurs inzwischen auf den höchsten Stand seit 2001 geklettert ist. Alles richtig gemacht…
Tipp: Im Kundenbereich des aktien Magazins kommentieren wir die Portfolios und Transaktionen der erfolgreichsten Portfolio-Manager der Wall Street. Nicht zögern, jetzt bestellen!
> aktien Magazin bestellen und Zugriff auf die Guru-Portfolio erhalten