Kaufen und Liegenlassen mit Berkshire-Aktien

von Tim Schäfer, New York

Liebe Leser,

ich sprach mit zwei Personen, die Warren Buffett in seinen Anfangsjahren kennengelernt haben. Beide merkten sehr schnell, dass Buffett ein Genie ist. Sie merkten, dass er ein fotographisches Gedächtnis hat. Buffett kann sich offenbar jede Menge Zahlen und Details wie ein Computer merken.

Beide investierten früh in Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway. Sie wurden mit dem Investment steinreich. Sie behielten das Aktienpaket über Dekaden. Sie machten das, was ein guter Aktionär mit einer Qualitätsfirma macht, eben "Buy and Hold".

Die eine Person ist die Journalistin Carol Loomis. Die andere Person ist der Geschäftsmann David Gottesman.

Lassen Sie mich Ihnen zunächst Frau Loomis vorstellen: Sie arbeitete 60 Jahre lang für das Wirtschaftsmagazin "Fortune" in leitender Position in New York. Sie war für die Fortune-500-Liste zuständig, die Liste bildete die größten US-Konzerne ab. Die 87-jährige ging vor zwei Jahren in den Ruhestand. Ich besuchte sie, bevor sie sich vom Verlag verabschiedet hat, in ihrem Büro. Wir sprachen an ihrem alten Schreibtisch – hoch oben in einem Wolkenkratzer in Midtown Manhattan.

Ich wollte wissen, wie sie Buffett kenngelernt hat. Mit Buffett, einem der reichsten Männer der Welt, ist sie seit einem halben Jahrhundert befreundet. Mit dem Investmentgenie spielt sie einmal pro Woche auf einer Website das Kartenspiel Bridge. Sie hilft Buffett die alljährlichen Briefe für die Berkshire-Aktionäre zu schreiben. Das macht sie seit 1977. Jedenfalls lernte sie Buffett 1967 kennen. Da war sie eine noch eher unerfahrene Redakteurin. Und Buffett war seinerzeit ein eher unbekannter Investor, der gleichwohl schon damals seine Fans hatte.

Loomis merkte schnell, dass Buffett eine besondere Begabung hatte. "Er hat ein fotographisches Gedächtnis. Bestimmte Dinge betrifft das: Zahlen, Firmen und so weiter", sagte sie mir. Loomis war für die Fortune-500-Liste zuständig. Auf der Liste werden die 500 größten Konzerne vom Verlag "geadelt". Sie war sich bei einem Energiekonzern nicht sicher, wie sie die Erfolgsrechnung zu deuten hatte. Sie fragte Buffett dazu. Und der Börsenkenner wusste aus dem Stegreif alles über die Firma. Er erinnerte sich sogar an Details einer Fussnote. Loomis schmunzelt noch heute über diese Geschichte. Buffett liest für sein Leben gerne Geschäftsberichte. Selbst wenn er beim Friseur ist, nimmt er Geschäftsberichte zum Lesen mit.

Loomis denkt so zurück an die 1960er-Jahre: "Sie brauchten ihn nur zu treffen und Sie wussten sofort: Er ist einzigartig... Er war 37. Seine Intelligenz fiel sofort auf. Das merkte man. Das merkten viele Menschen, die das Glück hatten, ihn in jungen Jahren zu treffen." Loomis kaufte frühzeitig Berkshire-Aktien und wurde steinreich.

Ein anderer früher Freund Buffetts ist David Gottesman. Der New Yorker Geschäftsmann wusste sofort, dass Buffett eine besondere Begabung hatte. Er kaufte daher von der ersten Stunde an Berkshire-Aktien, die er ewig hielt. Er besitzt noch heute 14.600 Original-Aktien, die einen Gesamtwert von 3,1 Mrd. USD haben. Der 90-jährige sitzt im Aufsichtsrat von Berkshire. Gottesman ist einer der bedeutendsten Einzelaktionäre. Der norwegische Pensionsfonds oder der irische Staat besitzen wohlgemerkt weniger Aktien als Gottesman.

Ich möchte Ihnen eine dritte Person nennen, die Buffetts Fähigkeiten entdeckt hat, allerdings ohne ihn persönlich zu kennen. Es ist Stewart Horejsi. Er hatte einen Familienbetrieb, der Tanks vermarktete. Das Geschäft lief aber schleppend. Ein Freund erzählte ihm 1980 von Warren Buffett. Horejsis Interesse war geweckt. Er las anschließend ein Buch über den Börseninvestor, der damals noch ziemlich unbekannt war. Das Buch überzeugte ihn. Er begann 1980, Berkshire-Aktien zu kaufen. Zunächst erwarb er 40 Stück zum Kurs von 265 USD. Zwei Wochen später kaufte er weitere 60 Anteilsscheine für je 295 USD. Einen Monat später folgten 200 Stück für jeweils 330 USD. Horejsi setzte das fort, bis er 4.300 Anteile eingesammelt hatte, die einen Milliardenwert darstellten. Heute steht er mit seiner Familie auf der Forbes-Liste der reichsten Amerikaner.

Warum wurden sie alle reich? Sie hatten Geduld und setzten auf die richtige Person. Buffett steigerte den Wert seiner Beteiligungsfirma um 20 % jährlich. Das gelang ihm ein halbes Jahrhundert lang. Ich würde Ihnen noch heute raten, trotz des hohen Alters von Buffett, seine Aktie zu kaufen und liegen zu lassen. Das Orakel von Omaha, wie er scherzhaft bezeichnet wird, hat längst Nachfolger bestimmt, die sein Imperium in seinem Sinne weiter leiten. Ich denke sogar, dass nach seinem Tod sich Berkshire noch besser entwicklen wird, als sich viele ausmalen können.

"Buy and Hold" ist bei Erfolgsfirmen eine überlegene Strategie, weil Sie sich die Transaktionskosten und Steuern sparen. Sie lassen den Zinseszins mit unversteuerten Buchgewinnen weiter wirken, was eine enorme Hebelwirkung mit den Dekaden auslöst. Der Effekt wird von vielen Anlegern nicht erkannt und deshalb unterschätzt.

Um Ihnen ein Gefühl für den Effekt zu geben, habe ich eine kleine Matheaufgabe für Sie. Nehmen Sie an: Ein Freund bietet Ihnen einen Job an. Er bietet Ihnen einen Cent am ersten Tag als Lohn an. Er sagt aber, dass er jeden Tag in den kommenden 30 Tagen den Lohn verdoppelt. Was meinen Sie bekommen Sie am Monatsende? Es sind 10,7 Mio. Euro.

Sie erhalten ein besseres Angebot. Ihr Freund bietet Ihnen statt 1 Cent nun 1 Euro an pro Tag, der dann jeden Tag verdoppelt wird. Nach 30 Tagen bekommen Sie 1 Mrd. Euro überwiesen.

Ich wundere mich darüber, warum nicht mehr Menschen Berkshire-Aktien kaufen. Es weiß doch mittlerweile fast jeder Börsianer, wie fähig Buffett ist. Trotzdem gibt es so viele Zweifler. Wer es nicht schafft, andere nach 50 Jahren Erfolgsserie zu überzeugen, der wird es vermutlich nie schaffen. Ich besitze jedenfalls seit geraumer Zeit Berkshire-Aktien. Ich bin optimistisch. Ich mache mir keine Sorgen. Im Gegenteil. Ich bin begeistert, weil es so viele Kritiker gibt.

Hinweis: Tim Schäfer stellt in jeder Ausgabe des "aktien" Magazins Aktien vor, die zum Kaufen und Liegenlassen geeignet sind. "aktien" ist Pflicht für alle Value- und Qualitätsinvestoren! (Magazin hier bestellen)


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