Wie der Öl-Multi unabhängiger vom Öl werden will

Michael Seibold ist als freier Redakteur beschäftigt. Artikel von freien Redakteuren stellen deren eigene Meinung dar und müssen mit der von aktien nicht korrespondieren.

Aufgrund der Furcht vor wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise haben am Freitag die Ölpreise ihre Talfahrt beschleunigt. Binnen einer Woche sind die Preise für amerikanisches Rohöl und für das Öl aus der Nordsee um 15 Prozent eingebrochen. Der Preis für Brent-Öl erreichte bei 50,44 Dollar den tiefsten Stand seit Ende 2018. Befürchtet wird eine hohe Nachfrageschwäche aufgrund der zuletzt steigenden Zahl der Coronavirus-Infektionen außerhalb Chinas. Rohstoffexperte Carsten Fritsch von der Commerzbank sagte dazu: "Wenn das Coronavirus Teile des öffentlichen Lebens und der Produktion lahmlegt, bedeutet das einen deutlich geringeren Bedarf an Diesel für den Transport und die Produktion sowie an Kerosin für den Flugverkehr." Gespannt dürfen wir auf die Reaktion des Ölkartell Opec sein, die sich Anfang März mit dem Thema auseinandersetzen. Besonders stark wurden in der vergangenen Woche die Aktien der Ölkonzerne gebeutelt. Sie wurden in den letzten Tagen förmlich durchgereicht. Royal Dutch Shell (WKN: A0D94M) erreichte den Stand von Mai 2016. Auch damals stand sie unter 20 Euro. Das US-Analysehaus Bernstein Research hat die Einstufung für die Shell auf "Outperform" mit einem Kursziel von 3.300 Pence belassen. Dies entspricht umgerechnet einem Kurs von über 38 Euro, also fast das Doppelte des derzeitigen Kursniveau. Analyst Oswald Clint findet den Kursrückgang für übertrieben und hält das aktuelle Niveau für eine attraktive Einstiegschance.

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Größter Stromkonzern der Welt bis 2035?

Der Öl- und Gaskonzern Royal Dutch Shell hat sich selbst zum Ziel gesetzt, bis 2035 zum größten Stromkonzern der Welt zu werden. Dafür will das britisch-niederländische Unternehmen in Zukunft weniger Geld in seine Öl- und Gassparte investieren. Derzeit plant der Ölkonzern bis zu zwei Milliarden Dollar pro Jahr in erneuerbare Energien zu stecken. New-Energie Chef Mark Gainsborough kündigte an: "Falls wir mit unserer Strategie Erfolg haben, wollen wir diesen Betrag vielleicht schon in zwei Jahren erhöhen." Vor allem in den USA, Kanada, Australien und Nordwest-Europa werde Shell als Stromhändler in die Märkte eintreten. Im 2016 gegründeten Geschäftszweig "New Energies" hat sich Shell vorgenommen, die Netto-CO2-Bilanz – gemessen in Gramm CO2 pro Megajoule Energieverbrauch – bis 2050 um etwa die Hälfte zu reduzieren. Bis 2035 strebe man eine Senkung um etwa 20 Prozent an.

Außerdem ist Shell führend in der Entwicklung von Biokraftstoffen, die während ihrer gesamten Lebensdauer weniger C02 – Emissionen als Benzin erzeugen. In Brasilien beispielsweise betreiben sie in einem Joint Venture eine Anlage, in der aus Zuckerrohrabfällen Kraftstoffe hergestellt werden. In Indien haben sie eine Anlage eröffnet, in der Biomasse und Abfall in Kraftstoff umgewandelt werden. In Deutschland arbeitet man daran, ein Netz von 400 Wasserstofftankstellen zu installieren.

Auch im Markt für batterieelektrische Fahrzeuge bietet Shell seit 2017 in Großbritannien und Niederlande Ladestationen für eine Schnellaufladung von Elektrofahrzeugen an. Andere Länder werden folgen.

Seit bereits 15 Jahren ist Shell in der Windbranche aktiv. Insgesamt haben sie bereits sechs Offshore-Windkraftprojekte in Nordamerika und einen Offshore-Windpark in Europa. Auch ist man Teil eines Konsortiums, das den Windpark Borssele vor der holländischen Küste entwickelt, der eine Kapazität von mehr als 680 MWh pro Jahr haben soll, das ausreicht, um 825.000 Haushalte mit Strom zu versorgen.

Mit Investitionen in die Sunseap-Gruppe sowie Silicon Ranch Corporation ist man auch in die Solarbranche eingestiegen. An seinem Standort in Moerdijk (Niederlande) baut Shell ein Solarkraftwerk, das in der Spitze bis zu 20 MW erneuerbare Energie liefern soll. Auch ist man noch an dem Solarunternehmen SolarNow, SteamaCo und Husk Power Systems, ein führendes dezentrales Versorgungsunternehmen, investiert. In den USA baut man das Stromhandels- und marketinggeschäft weiter aus. Auch in Deutschland handeln sie mit Strom und bauen ihr Angebot immer weiter für Industrie- und Privatkunden aus.

Planung des größten Wasserstoff-Projekts Europas

In den Niederlanden soll die bisher größte Wasserstoffproduktion Europas entstehen. Innerhalb von zehn Jahren soll vor der Küste Nordhollands für das NortH2 genannte Projekt ein Mega-Windpark von einer Größe zwischen drei und vier Gigawatt entstehen. Dabei soll der Strom speicherbar gemacht werden.

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Bild: dpa

Gemeinsam mit dem Gasnetzbetreiber Gasunie und dem Hafen Groningen Seaports plant der Öl-Multi den Bau des bis dato größten Wasserstoff-Projekts Europas. Der Windstrom solle direkt von einem Elektrolyseur zu grünem Wasserstoff verarbeitet, gespeichert und anschließend über die Gas-Infrastruktur verteilt werden. 2027 sollen die ersten Anlagen stehen, bis 2040 plane man, den Windparkt auf zehn Gigawatt zu vergrößern. Um die Kosten für die Technologie zu reduzieren, brauche es mehr von diesen Großprojekten. Mit dem grünen Wasserstoff soll endlich das Speicherproblem gelöst werden, das die erneuerbaren Energien seit jeher verfolgt. Während in Deutschland noch immer über die Rahmenbedingungen der Wasserstoff-Strategie diskutiert wird, ist man in den Niederlanden schon weiter. Derzeit ist die Erzeugung von grünem Wasserstoff noch teurer als die Nutzung fossiler Energieträger, aber jetzt in die Kostensenkungsphase zu kommen, sei wichtig und richtig, glaubt Energie-Experte Christoph Jugel von der Deutschen Energieagentur.

Hohe Dividendenrendite Aufgrund des zuletzt stark gebeutelten Aktienkurses kommt Royal Dutch Shell auf eine aktuelle Dividendenrendite von über 8 Prozent. Jährlich will man nach wie vor 1,88 USD je Aktie zahlen. Auch wenn der Öl- und Gasmulti die schwächere Weltwirtschaft zu spüren bekommt und dadurch auch der um Sondereffekte bereinigte Gewinn im vierten Quartal 2019 auf 2,93 Milliarden US-Dollar eingebrochen ist, glaube ich an die langfristige Ausrichtung des Unternehmens. Neben dem klassischen Geschäft mit dem Erdöl in all seinen Facetten hat Shell mittlerweile mehrere Standbeine aufgebaut, um unabhängiger vom Öl zu werden. Bereits vor einigen Jahren haben die Briten die BG Group übernommen, um sich im Bereich Erdgas zu stärken. Noch beeindruckender ist der Schritt im Bereich der "New Energy". Bis zum Jahr 2030 soll dieses Segment in etwa ein Drittel des operativen Erfolgs ausmachen. Eine Perspektive, die hier noch einmal mehr zur größeren Diversifikation innerhalb der Konzernstruktur führen sollte.

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Fazit

Klar ist, dass das aktuelle Umfeld für Shell nicht gerade einfach ist. Wer jedoch eine langfristige Perspektive einnimmt und sich nicht von kurzweiligen Quartalszahlen ablenken lässt, erkennt hier einen dynamischen Konzern, der sich nicht auf alte Erfolge ausruht und für den Wandel bereit ist. Auch die Dividendenhistorie ist beeindruckend. Seit 1945 wird regelmäßig eine Dividende gezahlt. Auch das Aktienrückkaufprogramm wurde nochmals deutlich ausgeweitet und sollte den Aktienkurs in Zukunft wieder stützen.

Liebe Anleger,

ich wünsche Ihnen weiterhin erfolgreiche Investments!

Bis zur nächsten spannenden Story,

Michael Seibold


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