Der brasilianische Aktienmarkt mit relativer Stärke vor den Präsidentschaftswahlen

Marius Müllerhoff ist als freier Redakteur beschäftigt. Artikel von freien Redakteuren stellen deren eigene Meinung dar und müssen mit der von aktien nicht korrespondieren.

Mit 216 Millionen Einwohnern ist Brasilien der siebtgrößte Staat der Erde. Bezogen auf die Fläche ist das Land sogar der fünftgrößte Staat. Die Bevölkerung wächst mit 0,7% p.a. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1,61 Billionen USD ist Brasilien das "Economic Power House" in Südamerika und die achtstärkste Wirtschaftsmacht der Welt. Im Jahr 2021 ist die Wirtschaft um 4,6% gewachsen. Brasilien ist ein rohstoffreiches Land. Neben landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie Zucker, Kaffee und Sojabohnen ist es auch ein weltweit führender Produzent von Zinn, Bauxit und vor allem Eisenerz. Im aufkeimenden Ost-West-Konflikt könnte Brasilien eine neue, bedeutsamere Rolle zukommen. Geografisch gesehen ist Brasilien sehr gut gelegen. Es grenzt an fast alle Länder Südamerikas und erstreckt sich über eine Küstenlänge von knapp 7.500 km.
Am 02. Oktober stehen die Präsidentschaftswahlen an. Aktuell sieht es nach einem Showdown zwischen dem Amtsinhaber Jair Bolsonaro von der konservativen Partei PL und Lula da Silva von der linksorientierten Partei PT. Letzten Umfragen zufolge hat Lula da Silva mit 45% die Nase vorn (Bolsonaro kommt auf 33%).
Der Brasilien-ETF (EWZ) zeigt relative Stärke zum S&P 500. Das ist bemerkenswert. Schauen wir uns das Land und potenzielle Investmentmöglichkeiten genauer an.

Wirtschaft

Im Jahr 2021 wuchs die Wirtschaft um 4,6%. Für 2022 wird mit 0,6% gerechnet. In 2023 sollen es 1,2% werden. Während das Wirtschaftswachstum im ersten Jahrzehnt des aktuellen Jahrhunderts bei 3,4% lag, waren die Jahre 2010 bis 2019 schwierige wirtschaftliche Zeiten. In diesem Zeitfenster konnte die Wirtschaft im Durchschnitt lediglich um 1,4% wachsen. Gründe dafür waren u. a. Korruptionsskandale, ein Amtsenthebungsverfahren und soziale Unruhen/Massenproteste. Die Fußball WM von 2014 und die Olympischen Spiele von 2016 waren sehr teuer, haben jedoch nicht die erhofften wirtschaftlichen Erfolge hervorgebracht. Dann kam die Covid-Pandemie und die Wirtschaft brach um -3,9% ein.

Quelle: https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZGend=2021&locations=BR&start=2001&view=chart

Nun geht es aber wieder bergauf. Dies ist u.a. auf die stark gestiegenen Rohstoffpreise zurückzuführen. Denn Brasilien ist ein rohstoffreiches Land. So ist es der weltweit größte Produzent und Exporteur von Zuckerrohr und führende Produzent von Kaffeebohnen. Im Jahr 2019 wurde das Land zum weltweit größten Sojaproduzenten. Sojabohnen sind auch das meist exportierte Produkt. Außerdem ist Brasilien ist reich an einer Vielzahl von Bodenschätzen. Es ist einer der weltweit führenden Produzenten von Bauxit, Eisenerz und Zinn (siehe auch Absatz unten zu Rohstoffen).
Diese Rohstoffkorrelation spiegelt sich auch in der Stärke der Währung Brasiliens, der Real, wider. Dieser ist die wohl letzte Währung, die der US-Dollar Stärke Stand hält. Der Wechselkurs bewegt sich seit zwei Jahren seitwärts zwischen 4,60 USD/Real und 5,80 USD/Real. Aktuell muss man 5,26 Real für einen US-Dollar zahlen. Damit befindet sich der Wechselkurs in der Mitte des genannten Korridors und liegt oberhalb des 200 Tage Durchschnitts. Falls wir uns tatsächlich in einem "Supercycle" im Rohstoffbereich befinden, dann steht Brasilien eine rosige nahe Zukunft bevor. Allerdings befindet sich die Arbeitslosigkeit aktuell bei knapp 10%. Die Inflation liegt bei knapp 9%.

"Superwahljahr" 2022

Brasilien steht vor einem "Superwahljahr". Neben der Präsidentschaftswahl stehen am 2. Oktober 2022 auch Gouverneurs- und Parlamentswahlen an. Der Präsident bzw. die Präsidentin wird für die vierjährige Amtszeit direkt vom Volk gewählt. In Brasilien ist der Präsident sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef. Vor diesem Hintergrund die Präsidentschaftswahl sehr bedeutend. Der Präsident wird in Brasilien für die vierjährige Amtszeit direkt vom Volk gewählt. Falls es im ersten Urnengang kein Kandidat schafft, die absolute Mehrheit zu erhalten, kommt es in einem zweiten Wahlgang zu einer Stichwahl. In Brasilien besteht Wahlpflicht ab dem 18 Jahren.
Die beiden Top Kontrahenten sind Jair Bolsonaro (Amtsinhaber, zu finden auf der linken Seite der folgenden Abbildung) und Lula Da Silva (zu finden auf der rechten Seite der folgenden Abbildung). Bolsonaro kommt ursprünglich aus dem Militär, ist aber seit 1990 in der Politik und wurde 2018 zum Präsidenten gewählt. Er gehört der konservativen Partei PT an. Lula da Silva gehört der linksorientierten Arbeiterpartei an. Lula kommt aus armen Verhältnissen. Bevor er 2003 zum Präsidenten gewählt wurde, machte er Karriere als Gewerkschafter. Während seiner Amtszeit (2003-2011) konnte die brasilianische Wirtschaft ein Wachstum von durchschnittlich 3,8% verzeichnen. Dies hatte er unter anderem den damals relativen hohen Rohstoffpreisen zu verdanken. Denn Brasiliens Wirtschaft ist stark korreliert mit den Rohstoffpreisen (siehe Absatz unten zu Rohstoffen). Gegen Ende seiner Amtszeit geriet Lula Da Silva ins Visier eines Korruptionsskandals. Er wurde mehrmals zu Haftstrafen verurteilt. Deswegen konnte er nicht zur Präsidentschaftswahl 2018 antreten. Im Jahr 2021 hob Brasiliens Oberstes Gericht die Urteile auf.

Quelle: https://www.em.com.br/app/noticia/politica/2022/09/16/interna_politica,1394435/bolsonaro-e-lula-agendam-para-o-mesmo-dia-novas-visitas-a-minas-gerais.shtml

Welche Themen bestimmen nun den Wahlkampf?

Die Hauptthemen sind die hohe Inflation (August 2022: 8,7%), die rabiate Abholzung des Amazonas-Regenwald und die wirtschaftliche Lage der brasilianischen Bevölkerung. Unter Bolsonaro hat die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes bedeutend zugenommen. Sie lag auf dem höchsten Niveau in der Geschichte Brasiliens. Beide Kandidaten setzen sich dafür ein, die Entwaldung zu beenden.
In Brasilien gibt es weiterhin eine große Kluft zwischen Arm und Reich. So wird geschätzt, dass mehr als ein Drittel der brasilianischen Bevölkerung mit Ernährungsunsicherheit zu kämpfen hat. Vor diesem Hintergrund liegt ein Fokus des Wahlkampfs auf der Entlastung von Menschen mit geringem Einkommen. In diesem Kontext hat Bolsonaro in seiner Amtszeit bereits die Steuern auf Treibstoff gesenkt. Außerdem hat er Hilfspakete für arme Bevölkerungsgruppen auf den Weg gebracht. Im Wahlprogramm von Lula da Silva findet sich ein umfangreicher Maßnahmenkatalog für die Entlastung einkommensschwacher Menschen und die Bekämpfung von Hunger. Obwohl es Bolsonaro gelungen ist, Arbeitsplätze zu schaffen, bleibt die Arbeitslosigkeit nach wie vor auf einem hohen Niveau (knapp 10%).

Geografie

Brasilien ist flächenmäßig das größte Land Südamerikas. Es nimmt knapp 50% der Gesamtfläche Südamerikas ein. Brasilien hat mit jedem südamerikanischen Staat eine gemeinsame Grenze (außer mit Chile und Ecuador). Die Küste erstreckt sich über 7500 km.

Chartanalysen

Der ETF mit dem größten verwalteten Vermögen (asset under management), der Brasilien abdeckt, trägt das Tickersymbol EWZ. Das verwaltete Vermögen beläuft sich auf 5,24 Mrd. US-Dollar auf. Die Gebühren belaufen sich auf 0,57% p.a. Der Chart dieses ETF zeigt relative Stärke zum S&P 500. Trotz des heftigen Marktabverkaufs der letzten Tage klebt der ETF am 200 Tage Durschnitt (siehe folgende Abbildung). Er befindet sich über allen wichtigen gleitenden Durchschnitten, die alle (noch) steigend sind. Das sind bullische Anzeichen für das Land.

Quelle: www.bigcharts.marketwatch.com

Unter den Top 10 Holdings findet sich als größte Position Vale SA (VALE) mit gut 16% (siehe folgende Abbildung). Hierbei handelt es sich um einen Bergbaukonzern, der weltweit tätig ist. Im Jahr 1942 gegründet und mit Hauptsitz in Rio De Janeiro ist Vale eines der größten Bergbau- und Metallunternehmen der Welt. Fokus liegt auf der Produktion von Eisenerz und Nickel. Weitere Rohstoffe, die das Unternehmen produziert bzw. abbaut, sind Eisenerzpellets, Gold, Kobalt, Kohle (metallurgisch und thermisch), Kupfer und Silber. Nickel und Kupfer sind übrigens essenzielle Rohstoffe für die Elektromobilität. Ein weiterer Geschäftszweig ist das Energie- und Stahlgeschäft. Vale ist somit ein zyklisches Unternehmen und stark abhängig von der Entwicklung der Rohstoffpreisen. Der Chart von Vale hat noch Luft nach oben. Die Aktie wird aktuell zu 13,04 USD gehandelt. Der Aktienkurs befindet sich unter dem 200 Tage Durchschnitt. Der Chart scheint tiefere Hochs und tiefere Tiefs auszubilden. Das ist bärisch. Eine wichtige Unterstützungsebene befindet sich bei 11,20 USD.
Ein vielversprechenderes Chartbild zeigt Ambev SA (ABEV), mit 3,86% die fünfgrößte Position dieses ETFs. Ambev SA ist ein brasilianisches Brauereiunternehmen, das im Jahr 2008 in Anheuser-Busch InBev aufgegangen ist (merge). Das Unternehmen wird unabhängig von Anheuser-Busch an der Börse gelistet. Zu den Produkten des Unternehmens gehören Bier, kohlensäurehaltige Erfrischungsgetränke, Energiedrinks, Säfte und weitere alkoholfreie und kohlensäurefreie Getränke. Es ist ein klassisches "Consumer Staple"-Unternehmen, das Marktzyklen eher weniger ausgesetzt ist. Das Unternehmen wurde 1853 gegründet und hat seinen Hauptsitz in São Paulo. Die Aktie befindet sich über dem 50 Tage und dem 200 Tage Durchschnitt. Die relative Stärke zum S&P 500 befindet sich bereits auf 52 Wochenhoch. Das ist bullisch. Der Ausbruch aus der schrägen Widerstandslinie stellt das nächste Longsignal dar.

Quelle : https://www.marketwatch.com/investing/fund/ewz?mod=search_symbol

Rohstoffe

Brasilien ist ein rohstoffreiches Land. Auf der landwirtschaftlichen Ebene sind die wichtigsten Erzeugnisse vor allem Kaffee, Sojabohnen und Zucker. So ist Brasilien der weltweit größte Produzent und Exporteur von Rohrzucker und der führende Produzent von Kaffeebohnen. Jüngsten Zahlen zufolge produziert Brasilien knapp 25% des weltweiten Jahresangebots an Rohrzucker und knapp 40% der weltweiten Kaffeebohnen, mehr als doppelt so viel wie der zweitgrößte Kaffeeproduzent Vietnam. Außerdem wurde das Land im Jahr 2019 zum weltweit größten Sojaproduzenten. Sojabohnen sind auch das meist exportierte Produkt Brasiliens.
Auf der mineralischen Rohstoffeben werden in dem Land vor allem Bauxit, Eisenerze, Gold, Kupfer, Nickel und Zinn produziert bzw. abgebaut. Dabei geht der Großteil in den Export. Das Land ist zudem der zehntgrößte Produzent von Rohöl. Der wichtigste Rohstoff ist Eisenerz, welcher der Hauptbestandteil der Stahlproduktion ist. Seit 2019 ist Eisenerz das drittwichtigste Exportprodukt Brasiliens und macht das Land zum zweitgrößten Eisenerzexporteur der Welt. Außerdem ist Brasilien hinter Australien, Guinea und China der viertgrößte Produzent der Welt von Bauxit. Das Land verfügt über knapp 10 % der weltweiten Bauxitreserven. Des Weiteren sollen in Brasilien die drittgrößten Zinnreserven der Welt liegen (nach China und Indonesien). Zinn wird vor allem als Lötzinn für Leiterplatten, in Weißblechen und auch für Chemikalien und Pigmente verwendet. Zusätzlich liegen in Brasilien mit gut 72 Millionen Tonnen die drittgrößten Graphitvorkommen der Welt (nach der Türkei mit ca. 90 Mio. t und China mit ca. 73 Mio. t). Graphit wird in der Feuerfestindustrie benötigt. Hierunter fallen feuerfeste Steine, Massen für die Stahl-, Glas- und Zementherstellung sowie die Chemieindustrie. Außerdem gewinnt Graphit als Rohstoff für Batterien für die Elektromobilität an Bedeutung.

Bevölkerung

Die Bevölkerung Brasiliens beläuft sich auf ca. 216 Mio. Menschen. Damit ist es das siebtgrößte Land der Welt. Die Bevölkerung ist relativ jung. Gut 20% sind 14 Jahre oder jünger. Der Median liegt bei ca. 32 Jahren. Das Bevölkerungswachstum ist zwar seit Jahren leicht am Fallen, liegt aber immer noch bei 0,7% p.a. bzw. 1,5 Mio. Menschen p.a. (zum Vergleich: das deutsche Bevölkerungswachstum liegt bei 0%).


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